Alles WAGEN

Literaturwagen

Der Literaturwagen steht seit den Sommerferien im Reusspark. Wie wird seine Geschichte weitergehen?

Alles wagen, Wagnisse eingehen, ausprobieren und mit einer anderen Perspektive in die Welt blicken...

So in etwa lautet der Leitspruch für den ehemaligen Literaturwagen des Kanton Aargaus, der seit Sommer 14 im Gnadenthal seinen neuen Bestimmungsort gefunden hat – zwischen den beiden Schulstandorten Stetten und Niederwil des Oberstufen Schulverbandes Reusstal.

 

Ein wundersames Zusammengehen verschiedener Gegebenheiten ermöglichten dem Schulverband Reusstal, dem BKS und dem Pflegheim Reusspark mit dem Wagen ausserhalb der Schulanlagen einen Begegnungsort verschiedenster Generationen zu schaffen – sei es als Schüler, Erwachsener, Besucher oder Gast des Reussparks.

 

Die Spielidee ist ebenso simpel wie gleichzeitig herausfordernd:

  • Der Wagen ist ein Ort der Begegnung verschiedener Generationen
  • Eigene Wagnisse eingehen und ausprobieren können.
  • Eigenverantwortliches Handeln.
  • Selbstorganisation.

Erwünscht sind vielfältigste ausserschulische Projekte und Vorhaben. Die Projektgruppe führt jeweils am letzten Mittwoch Nachmittag des Monats einen „Offenen Wagen“ durch. Dort können Interessierte ab 14 h vorbeikommen, ihre Ideen austauschen, sich inspirieren lassen, mit jemanden Kontakt knüpfen, Pläne schmieden....

 

So kann die Benutzung des Wagens einfach gehalten werden und die Neugierde, an der lauschigen Reuss jemandem zu begegnen, jederzeit gestillt werden.

Das Hirn braucht Begeisterung

Das folgende Interview von Gerhald Hüther, Professor für Neurobiologie an der Psychiatrischen Klinik der Universität in Göttingen, mit Karin Riss von der österreichischen Zeitung der Standard wurde am 15. April 2012 geführt.

(Link zum Zeitungsartikel)

 

STANDARD: Sie sagen, um nachhaltig zu lernen, braucht das Hirn vor allem Begeisterung. Aber kann Lernen ohne Druck überhaupt funktionieren?

Gerald Hüther: Die Hirnforschung kann inzwischen zeigen, dass sich im Hirn nur dann etwas ändert, wenn es unter die Haut geht. Das Hirn ist kein Muskel, den man trainieren kann, indem man viel übt. Im Hirn passiert immer erst dann etwas, wenn derjenige, der lernt, das für sich selbst als wichtig beurteilt. Denn nur dann lässt man sich davon berühren, dann gehen die emotionalen Zentren an. Und immer dann, wenn im Hirn diese emotionalen Zentren aktiviert werden, wird eine Art Dünger ausgeschüttet. Der düngt gewissermaßen das Dahinterliegende, was man im Zustand der Begeisterung an Netzwerken aktiviert hat. Und das führt dazu, dass man immer das, was man mit Begeisterung lernt, auch so gut behält.

 

STANDARD: Warum lernen kleine Kinder so viel und leicht?

Hüther: So ein kleiner Dreijähriger hat ja am Tag 50 bis 100 Begeisterungsstürme, wo dann jedes Mal diese Gießkanne der Begeisterung im Hirn angeht und wo das alles gedüngt wird. So, und dann schicken wir die Kinder in die Schule. Da stimmt doch irgendetwas nicht, wenn dann an dem Ort, wo eigentlich diese Begeisterung genutzt werden sollte, das Wichtigste verlorengeht, was die Verankerung dieser neuen Erfahrung im Hirn erst ermöglicht. Da sind wir mit unserem Schulsystem offenbar auf einem Irrweg gelandet.

 

STANDARD: Wie kann Schule in Hinkunft denn gelingen?

Hüther: Es gibt bereits einige dieser anderen Schulen. Schulen, wo den Schülern etwas geboten wird, was sie verzaubert. Und das findet eben nicht statt, wenn man anfängt, Kinder zu unterrichten und ihnen etwas beibringen zu wollen. Es ist ein großes Missverständnis, zu denken, indem man dem anderen sagt, wie er’s machen soll, könne man bei ihm im Hirn irgendeine Veränderung auslösen. So geht das nicht. Das geht nur, wenn der andere sich davon berühren lässt. Wenn er das toll findet. Dann will er’s wissen. Und wenn er’s wissen will, dann lernt er’s auch. Es würde auch reichen, wenn die Kinder nur ein Fünftel der Zeit zur Schule gingen, wenn in dieser Zeit wirklich etwas passieren würde.

 

STANDARD: Was sagen denn Noten über einen Schüler aus?

Hüther: Gute Noten haben diejenigen, die sich am besten an die Systemanforderungen anpassen können. Die machen die Matura mit 1,0, aber die haben das Entscheidende eigentlich verloren, nämlich die Leidenschaft. Die geht natürlich weg, wenn ich etwa in der fünften Klasse als Bub anfange, mich für Schmetterlinge zu interessieren, aber ich muss das in mir selbst unterdrücken, weil in der Zeit, in der ich mich mit den Schmetterlingen befasse, kann ich ja nicht Deutsch und Mathe machen. So produziert unser Schulsystem auch in den oberen Bereichen, wo die Besten scheinbar herausgelesen werden, junge Menschen, die zwar gut funktionieren, aber, böse gesagt: Das sind dann leidenschaftslos gewordene Pflichterfüller. Und die kann eine Wirtschaft in Österreich auch nicht mehr gebrauchen.

 

STANDARD: Stattdessen braucht es Schulen als Orte der Potenzialentfaltung. Wie geht das?

Hüther: Eine ganze Klasse müsste zu einem Team werden, das unbedingt wissen will, wie die Fotosynthese funktioniert. Oder warum Shakespeare Macbeth geschrieben hat. Und dann ahnen Sie schon, dass die Kinder ungefähr zwei Wochen brauchen werden, um das alles herauszufinden. Aber das hätten sie sich alles selbst erarbeitet. Und das würden sie dann auch nicht wieder vergessen. Von außen kann man das Wissen dann nicht einflößen, da ist es sogar fast störend, wenn einer kommt und die Fotosynthese oder Shakespeares Schreibmotive erläutert. Jede Erklärung, die man Kindern gibt, hindert sie daran, die Frage zu stellen und es selbst herauszufinden.

 

STANDARD: Es hängt an der Person des Lehrers?

Hüther: Die Lehrer tun mir leid. Die sind ja einmal losgezogen und wollten Unterstützer werden von Kindern bei Lernprozessen. Wenn die das nur noch mit Mühe aushalten, dann liegt das eben auch daran, dass sie derzeit kaum eigene Gestaltungsspielräume haben. Im Grunde genommen geht es den Lehrern fast so wie den Schülern. Und dann kann es eben sehr leicht passieren, dass man als Lehrer aufgibt, dass man den Mut verliert. Dann ist man keiner mehr, der einlädt, dann ist man einer, der sich nur mehr selbst rettet und versucht, durchzuhalten, bis die Rente kommt. Das ist natürlich eine Katastrophe. Es hat ja noch gar keiner unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten ausgerechnet, was das später einmal alles kostet, wenn ein einzelner, mutlos gewordener Mathematiklehrer es fertigbringt, jedes Jahr zwanzig Schülern die Lust an Mathe zu versauen. Denn dann haben die ja meistens nicht nur die Lust an Mathe verloren, sondern auch an den Naturwissenschaften. Das heißt, da ist auf einmal etwas kaputtgegangen, was möglicherweise die gesamte Karriere und Entwicklung eines Kindes belastet. Und wenn man diese Kosten alle zusammenrechnet, könnte herauskommen, dass es besser wäre, diesen betreffenden Lehrer bei vollen Bezügen nach Hause zu schicken, als ihn noch einen Tag länger diesen Schaden stiften zu lassen.